Für drei Hunderter kriegst du alles

Stürmische Verbindungen von Theologie und Biologie in der Bettgeschichten-Anthologie “Neurotica – Juden tun es auch”. Von Holm Friebe, erschienen am 02.03.2002 in der Berliner Zeitung.

 

Wenn wir die Begriffe “Juden” und “Sex” hören, denken wir unwillkürlich zuerst an Woody Allen: an Filme wie “Was sie schon immer über Sex wissen wollten . . . “, an Sentenzen wie die, dass der Penis auf der Liste der Phallussymbole erst an dritter Stelle käme, nicht zuletzt daran, dass Allen seine weit über dreißig Jahre jüngere Stieftochter geheiratet hat, mit der er immer noch glücklich zusammenlebt. Wohl kaum irgendwo ist das spezifisch Neurotische in der Verbindung von jüdischer Religion und Sex so gut herausgearbeitet wie bei Woody Allen. Deshalb darf er natürlich nicht fehlen, wenn beide Themen in einem Atemzug genannt und zu einem Buch kompiliert werden. Eine seiner kurzen Erzählungen bildet den Auftakt zur Anthologie “Neurotica – Juden tun es auch”, herausgegeben vom seinerseits erfolgreichen New- Yorker Schriftsteller Melvin Jules Bukiet, die in den USA bereits ein Bestseller war. Darin deckt Allens Icherzähler eine besondere Form platonischer Prostitution auf, wie sie realistisch selbst in New York wohl nur in feuchten Intellektuellenträumen statthaben kann: “Für drei Hunderter kriegtest du alles, was sie zu bieten hatten: ne schlanke jüdische Brünette würde so tun, als gabelte sie dich zufällig im Museum of Modern Art auf, lässt dich ihre großen Lieblinge lesen, zieht dich im Elaine’s in einen Mordskrach über Freuds Auffassung von der Frau rein und macht dir dann n Selbstmord nach deiner Wahl vor – der perfekte Abend für manchen Burschen. ” Wenngleich satirisch überdreht, wird hieran deutlich, dass Sex – in der jüdischen Kultur offensichtlich extremer als in anderen – durch den Kopf geht. Dadurch wird vielleicht der Sex nicht besser, im Gegenteil – wohl aber die Literatur. Denn nur verkopft wird der Akt als Gegenstand der Literatur überhaupt gefügig. Über animalischen Sex müsste man wohl eher schweigen, der Verkopfung bei der Arbeit zuzuschauen, kann hingegen sehr amüsant und kurzweilig sein. Wenn zum Beispiel ein Meister wie Harold Brodkey in seiner Erzählung “Unschuld” über dreißig Seiten die Psychoqualen eines überambitionierten Liebhabers in actu und Echtzeit wiedergibt (“. . . ein geduldiger und beherrschter Horror in ihr und eine Ungeduld in mir: Wir standen vor einem sexuellen Scherbenhaufen. “). Dass sich in dieser Geschichte am Ende doch noch alles positiv wendet, freut den Leser. Aber eine andere Frage beschäftigt ihn die gesamte Lektüre hindurch: Ist das nun “typisch jüdisch”, was er da liest? Gibt es womöglich einen grundlegenden Unterschied zwischen ordinärem Ficken und jüdischem Stupn? Juden tun es auch, aber tun sie es anders? Und muss jüdischer Sex immer neurotisch sein? War nicht schließlich Freud, der Erfinder aller gängigen Neurosen, auch Jude? Der Herausgeber hält sich in seiner Einleitung, was die psychopathologische Disposition angeht, weitgehend bedeckt und verweist lieber auf die jüdische Tradition. Darauf, dass das Judentum im Gegensatz zum Christentum die fleischliche Lust nie verteufelt hat. (Was die Überfigur der jüdischen Mutter damit tut, steht auf einem anderen Blatt, und ist häufiges Sujet in den Erzählungen. ) In Zeiten größter Not und Verfolgung hätten jüdische Schriftsteller den Sex als eine Art Resistenztechnik und Negation des Todes entdeckt: “Als Bewohner einer Welt, die kurz vor dem Untergang steht, richtet sich ihr Blick auf die Flammen, die im Inneren ihrer Gestalten loderten. ” Da die versammelten Erzählungen aber fast ausschließlich von zeitgenössischen Amerikanern stammen, ist das Religiöse oft nur noch in einer Schwundstufe vorhanden. Manchmal bricht es aber über das Vehikel Kultur unvermittelt in den vermeintlich säkularisierten Alltag ein. Dabei muss das Verhältnis keineswegs ein unversöhnliches sein, wie Bukiet weiter schreibt: “Religion und Sex sind keine gegensätzlichen Bestrebungen des Menschen, nein, sie funktionieren in Wahrheit analog: Sie siedeln die Erlösung nur an verschiedenen Orten an. Der Sex ist, wie die Religion, eine versöhnliche Macht, die soziale Ungerechtigkeiten ausgleicht. ” Bei der Auswahl der Texte, “welche die stürmischen Verbindungen zwischen Biologie und Theologie deutlich machen, die in dieser einen Kultur möglich sind”, geht Bukiet deshalb radikal subjektiv vor und enthält sich jeder weiteren Einordnung. Die Abfolge ist alphabethisch, so dass Woody Allens Eröffnung reiner Zufall ist, die schwarze Burleske “Taibel und ihr Dämon” von Isaac Beshevi Singer unverbunden neben Gilbert Sorrentinos raffiniert postmoderner Erzählung “Der Mond in seinem Flug” steht. Loses Bindeglied ist lediglich ein gewisser tragischer Humor, den Sorrentino in den magischen Satz fasst: “Die Verstümmelungen, die uns die Liebe antut, sind endlos komisch, genau wie die kleinen sprechenden Tiere, die in Zeichentrickfilmen von Explosionen zerfetzt werden. ” In weiteren Bettrollen erleben wir unter anderem Saul Bellow, Erica Jong Henry und Philip Roth. Das weibliche Geschlecht ist gut vertreten, unterm Strich weniger neurotisch, dafür mitunter erfrischend voreingenommen. Wenn etwa Binnie Kirschenbaum erzählt, wie sie einmal beinahe mit einem Deutschen ins Bett gegangen wäre, dann aber zum Glück rechtzeitig ihr Ressentiment bestätigt findet: “Großzügig zeigen sich die Deutschen nur in zwei Dingen: wenn sie einem Kartoffeln auf den Teller häufen und wenn sie Menschen vergasen. ” Was man als generöser Deutscher aus dem Buch lernen kann, abgesehen davon, dass man sich blendend unterhält? Etwas über Sex, ein Erkleckliches über Religion und viel über zeitgenössische jüdische Kultur, Literatur und Humor in den USA.

Melvin Jules Bukiet (Hrsg. ): Neurotica – Juden tun es auch. Anthologie. Luchterhand, München 2001. 508 S., 25,50 Euro.

 

In der Berliner Zeitung.

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